Das erste Mal Balkan – Chaos, Kilometer und große Karpfen

Aufbruch ins Ungewisse

Ende September. Die Semesterferien waren fast vorbei, die große Hitze hatte endlich nachgelassen und die Nächte wurden wieder erträglich. Genau der richtige Moment für eine letzte, größere Tour. Karpfenangeln auf dem Balkan sollte es werden – ein Reiseziel, das für mich bis dahin ein einziges großes Fragezeichen war.

Freundliche Menschen, gute Englischkenntnisse, ehrliche Gastfreundschaft – so hatte ich mir die Slowakei und Kroatien im Kopf ausgemalt. Dazu ein völlig anderer Angelstil, neue Gewässer, neue Regeln. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Diese Reise würde alles andere als planmäßig verlaufen.


Die Horrorshow beginnt

Der Plan stand, also ging es am frühen Nachmittag los. Rund elf Stunden Fahrtzeit, knapp 960 Kilometer – alleine im Auto. Um die Anreise etwas zu entschärfen, legte ich einen taktischen Zwischenstopp bei meinem guten Freund Jakob ein. Kurz vor der österreichischen Grenze noch einmal volltanken, eine kalte Dusche, ein kühles Bier – dann todmüde ins Bett fallen. Am nächsten Morgen hieß es früh aufstehen: Weiterfahrt nach Kroatien.

Die letzten vier Stunden hatten es in sich. Temperaturen um die 28 Grad, keine Klimaanlage – eine echte Geduldsprobe. Nach einem kurzen Halt im Supermarkt erreichte ich am frühen Mittag mein erstes Ziel:

Zaprešić.

Gerade wegen des kürzlich stattgefundenen Fischsterbens rechnete ich mit wenig Andrang. Die Realität sah anders aus. Jeder einzelne Platz war belegt. Geschockt drehte ich eine Runde um den See – darauf war ich nicht vorbereitet. Ein kurzer Halt am Vereinsheim brachte Gewissheit: Der See war exklusiv vermietet. Angeln unmöglich. Kurz durchatmen.

Plan B.

Leicht frustriert ging es weiter zur nächsten Adresse: Jezero Ontario. Doch auch hier folgte die nächste Ohrfeige. September? Hochsaison für Cups, Wettbewerbe und exklusive Veranstaltungen. Auch hier: kein Angeln möglich. Erster Tag. Zwei Seen. Null Angelzeit. Aufgeben? Keine Option.


Wenn das Telefon heiß läuft

Nach endlosen Gesprächen, leerem Handyakku und vielen Erkenntnissen, die ich lieber schon vorher gehabt hätte, wurde mir eines klar: Diese Woche würde alles andere als entspannt werden. Von Anfang bis Ende September finden an vielen Seen in Kroatien Wettkämpfe statt. Professionelle Teams, Trikots, Pokale – High-Level-Carpfishing. Nicht meine Welt. Aber Teil der Realität.

Wie sagt man so schön: Kontakte sind alles. Mein Netzwerk im In- und Ausland rettete mir schließlich den Trip. Nach rund vier Stunden Telefonaten, WhatsApp-Nachrichten und Warten auf Rückmeldungen war endlich eine Lösung gefunden.


Industrie statt Instagram

Kein Szenegewässer. Kein Social-Media-Hotspot. Aber ein See, an dem ich in Ruhe angeln konnte. Gerade noch einmal gut gegangen. Trotzdem war mein Ehrgeiz geweckt. Wenn ich schon hier war, wollte ich auch aus diesem Gewässer das Maximum herausholen. Ein lokaler Angler wartete bereits am vereinbarten Treffpunkt – purer Luxus nach all den Strapazen und einer nahezu schlaflosen Nacht. Nach etwa 15 Minuten Fahrt über enge Straßen, kaputte Feldwege und vorbei an alten Industrieanlagen war ich endlich am Ziel.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die spontan geholfen haben. Viele dieser Menschen kannte ich vorher nicht einmal persönlich. Umso beeindruckender war diese Selbstverständlichkeit zu helfen. Danke, Jungs!


Distanzangeln: Alles oder nichts

Jetzt hieß es: aufbauen, Spots finden, Futter vorbereiten. Ich wollte keine Zeit verschenken. Der restliche Tag war dafür da, den Futterplatz anzulegen, alles sauber vorzubereiten und am nächsten Morgen direkt starten zu können. Ich befischte eine Kiesbank auf etwa 110 Metern, die sich bis rund 120 Meter hinauszog – eine Information vom lokalen Angler. Der restliche Bereich meines Swims war schlammig, monoton und für mich uninteressant. Am ersten Abend brachte ich rund 12–14 Kilogramm Futter ein: Seafood-Boilies in 18 mm, VNX+ in 14 mm und Tigernüsse. Eine ordentliche Arbeit – besonders, wenn man diese Art der Distanzangelei nicht regelmäßig betreibt.

Warum dieser Mix?

Ganz einfach: maximale Füllung der Spodrakete. Unterschiedliche Korngrößen sorgen für bessere Aerodynamik und stabile Flugeigenschaften jenseits der 100-Meter-Marke. Nach dem Motto „Ring the dinner bell“ flog Spomb für Spomb auf den Platz. Kontinuität war der Schlüssel: Fische anlocken – und vor allem dort halten.


Wenn der Plan aufgeht

Von Tag zu Tag wurden die Fresszyklen besser – und vor allem länger. Auch das Durchschnittsgewicht stieg kontinuierlich. Ich war voll im Tunnel. Das absolute Highlight – neben mehreren Fischen zwischen 20 und 22 Kilo – war ein 24-Kilo-Spiegler. Pünktlich zu meinem 21. Geburtstag.

Ein besseres Geschenk hätte ich mir nicht wünschen können.


Eine neue Chance

Nach über einer Woche am Wasser kam ein Anruf: In Slowenien hatte sich kurzfristig eine Möglichkeit ergeben. Ich musste nicht lange überlegen. Am selben Abend packte ich den Großteil meines Equipments ins Auto, fischte eine letzte Nacht und machte mich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf den Weg Richtung Landesgrenze. Die slowenische Kiesgrube – bekannt für ihre alten, schwer zu fangenden Fische – war einfach zu reizvoll. Nach rund drei Stunden Fahrt erreichte ich mein neues Ziel.


Druck, Präzision und Vertrauen

Ein See ganz nach meinem Geschmack: überschaubar, verwinkelt, eigenständig. Doch der Angeldruck war enorm. Rund 15 Angler auf etwa 20 Hektar Wasser – alles andere als entspannt. Durch einen glücklichen Zufall bekam ich dennoch eine absolute Schlüsselstelle: einen schmalen Kanal zwischen zwei Seeteilen – eine stark frequentierte Zugroute. Nach drei bis vier Stunden intensiver Arbeit mit der Markerrute hatte ich meinen Bereich exakt analysiert und drei Spots definiert. Der Fokus lag auf kleinen, sauberen Kiesflächen.

Zwei Ruten platzierte ich genau dort, in Tiefen zwischen zwei und vier Metern. Die dritte Rute bewusst abseits. Gerade bei hohem Angeldruck versuche ich immer, einen anderen Weg zu gehen. Nach sorgfältiger Platzwahl und einer ordentlichen Portion VNX+ Boilies – Fischmehl ließ ich wegen des hohen Walleraufkommens bewusst weg – kam der erste Biss schneller als erwartet. Sonnenuntergang. Dauerton. Traumstart. Ein Schuppi mit Mitte 30 Pfund.


Nachtarbeit zahlt sich aus

Da die Bisse fast ausschließlich in der Dunkelheit kamen, bestand mein Tagesablauf aus Füttern, Nachjustieren und Warten. Am Abend wollte ich absolute Ruhe im Areal haben, um gezielt die ziehenden Fische abzufangen. Schlaf wurde zur Nebensache.

Bereits in der zweiten Nacht ging der Plan voll auf. Mehrere starke Fische fanden den Weg in den Kescher. Der Höhepunkt folgte kurz vor Sonnenaufgang: ein uralter, massiver Traumspiegler. Genau für solche Momente fährt man tausende Kilometer. Ich war im Flow. Taktik, Futter und Timing griffen perfekt ineinander.


Fazit: Nicht geplant – aber perfekt

In den darauffolgenden Tagen konnte ich weitere beeindruckende Fische landen, bis knapp unter 25 Kilo. Auch wenn ich mir diesen Trip im Vorfeld völlig anders vorgestellt hatte, fand er ein mehr als versöhnliches Ende. Nach insgesamt 17 Nächten ging es gut gebräunt, erschöpft – und mit einer vollen Speicherkarte – zurück nach Hause.

Vielleicht keine Session aus dem Bilderbuch. Aber eine, die bleibt. Für die Erfahrungen, die Erlebnisse und die Freundschaften bin ich mehr als dankbar. Danke an alle, die mich unterstützt haben. Ohne euch wäre diese Tour ganz anders verlaufen.

Es ist stark zu sehen, wie groß der Zusammenhalt in unserer Community ist.


Tight Lines und eine erfolgreiche Kaltwasser-Season!

Euer Simon Häberle

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