Vertrauen ist gut…

Ich sehe aus wie ein Kasper, ich trage einen dunkelbraunen Anzug, ein weißes Hemd mit Kravatte und laufe in einer Wathose in den dunklen Wald. Das es schon so verdammt früh dunkel werden muss, ich hasse diese Zeit. Auf der anderen Seite, so kann mich niemand in meinem seltsamen Kostüm sehen, hat auch etwas Gutes. In der einen Hand habe ich einen Futtereimer, in der anderen den Spotfinder, die Kopflampe zeigt mir den Weg am Ufer entlang. An der 1. Stelle angekommen, stelle ich den Eimer ab und gehe ins Wasser. Bis kurz vor die alten Seerosen kann ich laufen, dann steht mir das Wasser bis zum Bauch und vor mir geht eine Kante ins tiefe Wasser hinab. Ich leuchte mit der Kopflampe ins Wasser und schaue durch den Spotfinder die Kante hinunter.

Mein tägliches Werkzeug
Mein tägliches Werkzeug

So eben kann ich noch den Boden sehen, er gleicht einer kahlen Mondlandschaft, feiner heller Sand und freigelegte Wurzeln kann ich erkennen. Vor einer Woche lag hier noch Laub und die Wurzeln lagen verdeckt in einer weicheren Sedimentschicht. Seit diesem Tag wurde hier täglich Futter eingebracht, 2x täglich um genau zu sagen, morgens vor der Arbeit und so wie jetzt, nach Feierabend. Da der See auf dem Weg ins Büro liegt, kann ich das sehr gut miteinander verbinden, sehe halt nur etwas seltsam aus in meiner „Arbeitskleidung“. Ich steige aus dem Wasser, greife zum Falteimer und verteile einige Hände voll Boilies auf dem Platz, dann gehe ich weiter. Noch 6 weitere Stellen gibt es zu kontrollieren und eventuell neu zu bestücken. Die einzigen die mich jetzt hierbei beobachten sind die Schafe.

Immer unter Beobachtung

Warum dieser Aufwand? Ganz einfach, ich versuche die Fische in diesem Gewässer ersteinmal zu finden und dann noch zu verstehen. Die Stellen sind um den ganzen See verteilt, unterscheiden sich teilweise komplett voneinander, mal in vermuteten holding areas und mal auf völlig uninteressanter Strecke ohne markante Anhaltspunkte. Wenn ein Platz angenommen wurde, ist das ersteinmal sehr gut, nun will ich aber wissen, von wem oder was und vor allem wann? Ich starte zu Beginn mit 14mm Boilies aus der konservierten Range und ist das Futter angenommen worden, kommen größere Freezer dazu. Dieses steigere ich, bis ich ausschließen kann, das hier Brassen am Werk sind. Wenn ich nun weiß, das die Karpfen hier fressen, dann will ich aber noch wissen, ob dieses Nachts oder Tagsüber passiert, daher das Füttern und kontrollieren zu 2 verschiedenen Zeiten. Es ist sehr interessant zu sehen, das in bestimmten Bereichen des Sees das Futter in den Morgenstunden verschwunden ist, aber Abends noch unberührt am Spot liegt. Auf der anderen Seite ist es umgekehrt, jede Nacht bleibt das Futter dort liegen, aber Abends präsentiert sich mir die erwähnte Mondlandschaft.

Der Blick durch den Spotfinder

Ich habe nicht mehr die Zeit tagelang am Wasser zu sitzen, ich habe wenn überhaupt einzelne Zeitfenster oder mal eine kurze Nacht. Wenn ich nun an den falschen Plätzen sitze, als Beispiel diese, die nur am Tag „besucht“ werden, bleibe ich blank und habe Zeit verschwendet. Durch den Aufwand des kontrollierten Fütterns, versuche ich dieses zu umgehen und erfahre gleichzeitig auch noch sehr viel über die Zugrouten oder Aufenthaltsplätze der Fische. Zugegeben, der Aufwand ist nicht klein, aber als Lohn bekommt man eine Menge informationen und spätestens nach einer Woche stellt sich dieses enorme Vorfreude darauf ein, einen Versuch zu starten und das zur richtigen Zeit!
Seit 10 Tagen jeden Tag das selbe Schauspiel und ich glaube nun zu wissen, wo sich die Fische wann aufhalten, muss aber jetzt eine schwere Entscheidung treffen. Ich habe einen Freitag frei und kann daher 2 Nächte fischen gehen. Ist doch super werden einige jetzt denken, doch für mich ist es das Chaos.. Ich will noch nicht an den erwähnten See, ich will den Fischen noch Ruhe und Vertrauen geben, aber woanders hinfahren und 2 Tage nicht füttern können?? Auch das ist nicht so meins. Trotzdem, für diese Variante entscheide  ich mich dann doch. Ich würde morgens noch am See vorbeifahren, eine größere Menge Futter verteilen und dann weiterfahren zum Fischen.Gesagt, getan!

2 Tage schweigen die Nevilles

Ich sitze seit 2 Tagen an diesem Loch, habe fest an mein Handeln geglaubt und verschiedene Stellen versucht, trotzdem bin ich blank geblieben. Nichts neues an diesem See, aber immer wieder enttäuschend. Ich bin genervt, habe Zeit verschwendet und spätestens seit gestern denke ich nur noch an meine Futterstellen an dem anderen See. Hätte ich die 2 Tage doch dort verbringen sollen? Ich hätte mit Sicherheit gefangen! Ich packe schon früh ein und fahre „kontrollieren“, die Plätze sind wie erwartet alle abgegrast und ich kann einfach nicht aus meiner Haut, zu tief sitzt der Jagdinstinkt. Ich fahre nach Hause, alles unnötige wird ausgeladen und mit Minimaltackle im Kofferraum geht es wieder los zum See, ich mache noch ne Nacht!

Es ist bereits Mittag als alles steht, nur die Ruten müssen noch zu Wasser gelassen werden. Die Rute am eigenen Ufer stellt kein Problem da, mit den anderen beiden muss ich noch warten. Der gute Zanderbestand zieht an diesem Tag einige Spinnfischer an den See und diese würden mit Sicherheit nicht lange brauchen um die Schnüre einzusammeln. Also warten und Kaffee trinken. Es ist ca 20 Uhr als der Hänger der Uferrute nach oben schnellt und wieder zu Boden fällt. Kein Lauf, kein Surren der Bremse, nur Stille! Was zum Geier… Ich sitze auf der Liege, trinke einen Kaffee und schaue in den Himmel, der große Wagen strahlt von oben auf mich herab. Ich grübel noch kurz, dann hole ich die Rute ein um nachzusehen was los ist, kann aber nichts erkennen, der Kurvshank ist frei, das Silikonstück auf dem Hakenbogen hochgeschoben. Warum hat der nicht gehakt?

Der große Wagen blickt auf mich herab

Sowas kann ich garnicht leiden, sowas ärgert mich enorm und lässt mich grübeln. Neue Taktik, statt dem weichen Vorfach mit dem 6er Kurv muss nun was anderes her, nicht das ich dem Vorfach nicht vertraue, aber wenn die Fische sich hier beim Fressen kaum bewegen, brauche ich was agressiveres. Ich binde ein ca. 10 cm langes Vorfach aus N-Trap, am Ende ein Krank Hook Größe 6 und kurz vor dem Haken entferne ich etwas der Ummantelung. Der Haken kann sich frei bewegen, aber durch die Steifheit des Restes, kann der Fisch ihn nicht so einfach ausblasen. Noch einen Sinker in der Mitte des Vorfachs, etwas Knetblei dazu und 2 Scoberrys ans Haar. Ein 14 mm Sinker und einen kleinen weißen Poppi, die Kombi soll fast schwerelos daherkommen und dem Schleicher ins Maul fliegen.

die "Hakmaschine"

Das Inlineblei wird semifixed gefischt, löst sich also relativ schnell und der Fisch kann bei dem kurzen Vorfach nicht das Blei als Gewicht nutzen, um durch Kopfschütteln den Haken loszuwerden. 40 cm hinter dem Blei kommt ein Shot Sleeve auf das Leadcore und eine Perle wird fixiert, dieses verhindert, das das Blei auf der Hauptschnur wild hin und her gleitet und sich vielleicht noch irgendwo festsetzt. Der Sleeve mit der Perle ist eigentlich für Chod Rigs gedacht, eignet sich aber super als „Stopper“ und gibt bei einem Abriss die Sicherheit, das der Fisch das Blei verliert. Eine tolle Sache für alle die gerne mit einem Blei fischen, welches sich nach dem Biss in eine Laufbleimontage verwandelt.

Erstmal Kaffee
Ich liebe den Herbst
Ich liebe den Herbst

Ich steige in die Wathose, greife mir den Spotfinder und die Rute und maschiere los zur Kante. Ein Blick ins Wasser zeigt mir, das kein Boilie mehr am Platz liegt, wer auch immer es war, er hat alles abgeräumt. Vorsichtig plaziere ich die Rute und streue etwas Futter drumherum, ich hoffe das die Fische wiederkommen. Es ist 1 Uhr in der Nacht  als ich von 3 Geräuschen geweckt werde, der Knall des Hängers, wie er unter den Rutenblank schlägt, das Piepen des Nevilles und im Bruchteil einer Sekunde das kreischen der Bremse. Schlaftrunken versuche ich in die Stiefel zu steigen, der Fisch nimmt weiter Fahrt auf, er reisst die Schnur von der Rolle, wie ich es persönlich noch nicht erlebt habe. Ich nehme die Rute auf, welche sich in meinen Händen im Halbkreis biegt und nehme blitzschnell wieder den Finger von der Spule. Gefühlte 3 bis 4 Minuten vergehen und der Fisch ist nicht zu stoppen. Zum Glück habe ich keine Hindernisse in diesem Seebreich und die anderen Ruten sind abgesenkt. Da ich nichts machen kann und jeder Versuch den Fisch zu stoppen scheitert, gebe ich mich mit wackeligen Knien dem ganzen hin und grinse in die Nacht. Kurzzeitig halte ich die Rute mit einer Hand, zünde mir eine Zigarette an und schalte die Kopflampe auf Rotlicht. Kein Rucken oder Zucken geht durch die Rute, nur ein durchgehend gleichmäßiger Zug. Ein Blick auf die Spule verrät mir, das der Fisch inzwischen weit über 80 Meter entfernt sein muss. Woher ich das weiß? Ich habe auf jeder Spule 80 Meter Kontour Fluocarbon vor die Subline geschaltet und von dieser ist gerade nichts mehr zu sehen. Im Schein der Kopflampe kann ich meinen Atem sehen, mein Arm beginnt langsam zu schmerzen und ich lege den Finger wieder auf die Spule. Ich stoppe den Fisch, schließe etwas die Bremse und beginne zu Pumpen. Seit 15 Minuten zieht der Fisch im Tiefen seine Bahnen, ein Verlust wäre jetzt das schlimmste überhaupt, nicht zu wissen was dort am Ende diese Kraft besitzt. Ich will garnicht darüber nachdenken, trotzdem gehen meine Gedanken kurz in diese Richtung. Irgendwann sehe ich den Fisch unter der Oberfläche, nur Schemenhaft kann ich einen großen hellen Körper erkennen und weiß nun das es sich um einen großen Spiegler handelt. Der erste Blick auf den Fisch machen die Gedanken nicht besser und ich bin so erleichtert, als er nach mehreren Fluchten endlich durch die Maschen des Keschers gesichert wird. Boaah… Save!!! Beim Blick ins Wasser erkenne ich die Ausmaße des Fisches, ein alter Krieger mit langem Körper, das vermutete Gewicht eine Außnahme in unserer Gegend.

ein alter Krieger

Im Morgengrauen erlebe ich ähnliches nochmal, einer der Plätze für die Tagesstunden bringt mir ebenfalls einen guten Fisch und ich beschließe die Rute nicht mehr auszulegen und in kürze einzupacken. Ruhe soll wieder einkehren, die Fische sollen weiter ungestört fressen. Ich werde weiterfüttern und jeden Tag in meine Kasperrolle schlüpfen. Ich muss mich noch etwas in Geduld üben, die Fische sollen den Plätzen vertrauen, ich muss den Plätzen vertrauen.  Vertrauen ist gut denke ich mir, doch Kontrolle ist noch besser!

Wie das mit dem Laufblei und dem Stopper funktioniert? Schaut mal hier :

Eigentlich für Chod Rigs gedacht - der "Stopper" auf dem Leadcore
Das Blei gleitet nach einem Biss auf dem Leadcore...
...und wird durch den Sleeve mit dem Bead gestoppt.
Bei einem Abriss ist das ganze absolut save!

Lieben Gruß

Tammo

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