Einfach Glück gehabt!

Ein altes deutsches Sprichwort besagt: Glück ist, wenn Gelegenheit auf Bereitschaft trifft. Dass solche, meist ziemlich abgedroschen klingenden, Redewendungen doch ihren wahren Kern haben, durfte ich mitten in einer Zeit erfahren, die verrückter nicht sein kann.

Es ist März 2020. Der Karneval im Rheinland ist gerade vorbei, in den Medien überschlagen sich die Meldungen zu einem neuartigen Virus und das Wetter lädt eher zu Glühwein vor dem Kamin ein, als dazu sein Glück beim Angeln zu probieren. In dieser Zeit, in der die meisten Karpfenangler ihr Tackle noch nicht einmal aus dem Winterschlaf geholt haben, versuchte ich eine Session, für die mich manche anderen Angler ausgelacht hätten. Ich wollte, wie soll es hier am Niederrhein anders sein, einen großen Baggersee befischen. Mehr als 70ha Wasserfläche, Tiefen bis zu 28 Meter, knapp unter 9 Grad Wassertemperatur und einen geringen Fischbestand. Nicht gerade ein Gewässer auf das viele Karpfenangler zu einer solchen Jahreszeit ihren Fokus legen würden. Aber war das vielleicht mein Glück?

Los geht`s

Als ich das erste Mal in diesem Jahr zum See kam und meine ausgewählte Stelle mit dem Schlauchboot anfuhr, wurde mir erst richtig bewusst, was ich mir vorgenommen hatte. Der große See mit seinem tief blauen Wasser, den Wellen und der kargen Vegetation wirkte eher bedrohlich als einladend. Ich wusste, wenn hier was gehen soll, dann brauche ich neben der richtigen Stelle vor allem die richtige Taktik. Ein großer Schlüssel zum Erfolg ist dabei das richtige Futter. Die Fische sind zu dieser Jahreszeit noch sehr träge und stehen meist tief in der Wassersäule mit einem weit runtergefahrenen Stoffwechsel. Das wenige Futter, welches es nun galt einzubringen, musste also umso attraktiver sein. Als Grundlage entschied ich mich für 15mm Scoberry und Nasty Shrimp Boilies. Eine Köderkombination, in die ich vollstes Vertrauen habe, konnte ich mit dieser doch schon seit meinen ersten Angeltagen auf Karpfen, auch bei widrigen Bedingungen, immer gut fangen. Ergänzt wurden die Boilies durch Mais, Pellets und etwas Stickmix. Hierbei handelt es sich um Attraktoren, welche auch in kalten Wasser mit geringer Menge eine hohe Lockwirkung entfalten können. Natürlich ist ein solch „feines“ Futter aber auch immer ein Risikofaktor. Der See beherbergt aus meiner Erfahrung nicht nur relativ große Karpfen, sondern auch eine Unmenge von Brassen, bei    denen ein Gewicht von 3kg keine Seltenheit ist. Es kann also passieren, dass man an schlechten Tagen vor lauter ungebetener Weißfische keinen Schlaf findet. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Noch so ein abgedroschenes Sprichwort, aber das Risiko musste ich einfach eingehen!

Hoch attraktiv – aber auch eine Gefahr

Zu Beginn meiner Session schien das Schicksal sich langsam auf meine Seite zu schlagen. Nachdem es die Wochen davor eher noch winterlich zuging, strahlte an meinem Ankunftstag die Sonne am blauen Himmel. Zwar waren die Temperaturen noch so weit unten, dass man keineswegs an Sommer, geschweige denn Frühling denken konnte, aber die Sonne könnte die Karpfen im tiefen blauen Wasser wenigstens mal ein wenig aufwecken und aktivieren. Der Spot für den ich mich entschied, lag auf einer langen geraden Seite des Sees, sodass ich viel Wasser vor der Nase hatte. Um dieses Freiwasser ging es mir aber nicht in erster Linie. Ich wollte möglichst nah an einige umgefallene Bäume kommen, welche auf der sonst monotonen Uferkante einen Anlaufpunkt für Fische makieren könnten. Bei meinen vorherigen Besuchen am See konnte ich über das Echo erkennen, dass es kurz hinter den letzten Baumspitzen im Wasser ca. 8 Meter tief war. Durch klopfen mit einem Blei erkannte ich zudem was mir das Echo vorher schon ankündigte: das sonst hohe Kraut war abgestorben und der Grund war hart. Hier musste ich es einfach probieren! Den Spot befischte ich mit zwei Ruten. Auch wenn locker drei Ruten Platz gefunden hätten, wollte ich mir selber nicht die Wege abspannen und so vielleicht die scheuen Fische abschrecken. Als Montagen kamen Heli-Leader mit ganz simplen Line-Aligner Rigs zum Einsatz. An diesen Rigs kann ich problemlos meine Snowmens präsentieren, wobei ich jeweils einen 18mm Nasty Shrimp oder Scoberry Boilie mit einem 12mm pinken Pop-Up toppte.

Auffällige Schneemänner

Was in den anschließenden Stunden passierte, hätte ich selber nie zu träumen gewagt. Während der Abend ereignislos verstrich, brach nachts schon fast das Chaos aus. Um 2 Uhr weckte mich der Ton meiner Bissanzeiger das erste Mal. Als der schlanke Schuppi, der zuerst Hunger auf den Nasty Boilie hatte, versorgt und abgelichtet war, lag ich gerade in der Liege als exakt dieselbe Rute nur 5 Minuten später erneut ablief. Der Spot war endgültig aktiv und angenommen! Innerhalb der nächsten Stunden konnte ich nicht nur sechs Karpfen überlisten, sondern hatte neben dem bereits erwähnten Schuppi auch drei Fische gefangen, welche die 30 Pfund Marke locker hinter sich gelassen hatten.   Als vermeintlich schöner Abschluss lief morgens im ersten Tageslicht dann noch ein wunderschön beschuppter Spiegler ab, bei dem Größe und Gewicht zur Nebensache wurden. Schon völlig geflasht von dem was passiert war, saß ich vormittags auf meiner Liege und versuchte zu begreifen, dass mein Plan anscheinend gut aufgegangen war.

Da ist die Größe völlig egal

Doch wie gut er aufgegangen war, erfuhr ich erst in den letzten Minuten der Session. Als ich zur Mittagszeit bereits dabei war einzupacken, um einen schönen Tag bei meiner Freundin zu verbringen, rannte die Rute ein letztes Mal kreischend ab. Es war einer dieser mysteriösen Einpackfische, an die ich vorher selber nie so ganz geglaubt hatte. Einer dieser Fische, die eine Session in der letzten Sekunde rumreißen konnten. Doch um ehrlich zu sein, mussten die vergangenen Stunden eigentlich nicht mehr rumgerissen werden. Ich nahm die Rute auf, stieg in mein Schlauchboot und merkte sofort eine unglaubliche Power am anderen Ende des Geflechts. Der Fisch zog zu meinem Glück nicht in Richtung Äste, sondern steuerte wie ein unaufhaltsamer Zug ins Freiwasser. Obwohl das Wasser unter mir relativ klar war, konnte ich den Fisch 10 Minuten lang kein einziges Mal sehen. Er schien am Grund festgewachsen zu sein. Durch kontinuierlichen Druck gelang es mir jedoch den Fisch irgendwann, etliche Meter weg vom ursprünglichen Spot, an die Oberfläche zu bekommen. Was mir da entgegen kam ließ meine Knie weich werden. Ein großer, runder Two-Tone, der zum letzten Mal all seine Kraft zusammen nahm und in eine Flucht in die Tiefe steckte. Innerlich betete ich, dass mein Rig diesen letzten Kraftakt aushalten würde. Erst als der Fisch endlich im Kescher war, beruhigte sich mein Puls, und ich konnte begreifen was gerade passiert war. Bei dem Fisch handelte es sich nicht nur um einen Karpfen mit deutlich mehr als 20kg, sondern meines Wissens auch um den bisher Größten im ganzen See. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Jetzt war die Taktik aber wirklich aufgegangen. Noch völlig fassungslos schrieb ich einen Freund an, der wie selbstverständlich, wenige Minuten später am See ankam, um den Fisch zu fotografieren.

Ich konnte mein Glück kaum fassen

Der Moment, die Session und alle Anstrengungen waren vergoldet! Aber hatte ich am Ende wirklich nur Glück gehabt? Eingangs erwähnte ich, dass zu jenem Glück Bereitschaft und Gelegenheit gehört. Ich hatte die Gelegenheit ein Gewässer als einer der Ersten im Jahr zu befischen und konnte so die lange Zeit, in der die Fische keine Angler gesehen hatten, zu meinen Gunsten ausnutzen. Ich hatte aber auch die nötige Bereitschaft, mich an ein Gewässer zu setzten und in eine „Angel- Situation“ zu begeben, die für viele andere nicht komfortabel genug gewesen wäre. Am Ende wurde ich mit einer unvergesslichen Session belohnt. Wer diese Gelegenheiten nutzt und am Ende auch die Bereitschaft hat sich in solche Situationen zu begeben, der hat eben auch ein wenig Glück verdient.

Always thight lines! Euer Berny

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