Wie zeronnen, so gewonnen: Das „Endvierziger-Selfie!“

Digitale Fotos sind vergänglich. Sie huschen in Sekunden über die Bildschirme unserer Tablets, Smartphones oder Laptops und verschwinden anschließend ruckzuck aus den Köpfen der Betrachter und oft sogar aus denen der Fotografen selbst. Im Datengewusel gehen sie danach zwischen all den Giga- und Terrabytes auf den Festplatten unter und fristen ihr Dasein zwischen jeder Menge Einsen und Nullen. Schade eigentlich, denn zahlreiche Fotos sind es auf jeden Fall wert, dass man sich ihrer regelmäßig annimmt und sie ggf. ausdruckt. Dabei müssen es garnicht zwingend die technisch brillant geschossenen Fotos sein! Gemeint sind hier vielmehr diejenigen Fotos, hinter denen schöne und erinnernswerte Geschichten stecken. Und um ein genau solches Foto geht es in diesem kurzen Bericht zum „Endvierziger-Selfie“.

Dass dieser Fisch überhaupt hier vor mir auf der Matte liegt, ist nur einer Riesenportion Glück zu verdanken. Kurz zuvor hatte der gewaltige Spiegler nämlich meine Hauptschnur zerfetzt und sich verabschiedet – für´s erste!

Doch der Reihe nach: Es war bereits der zweite Run an jenem Samstagmorgen im Mai. Bereits im Halbschlaf konnte ich von meiner Liege aus aktive Karpfen im unmittelbaren Uferbereich genau dort ausmachen, wo einer meiner Köder platziert war. Mit Bewegungen, die zu kleinen Wellen an der Oberfläche führten und Luftblasen, die vom Grund aufstiegen hatte die Gruppe der Schuppenträger sich verraten. Zunächst blieb der Köder aber unangetastet, was mich wieder einschlafen ließ. Gerade als mein Körper zum Tiefschlaf übergehen wollte, schrie der Delkim. Zunächst etwas verwirrt, dann jedoch bald gefasster, nahm ich den Kampf mit dem großen Spiegler auf. Da ich den Köder nur direkt vor die Füße gependelt hatte und das Wasser sehr klar war, konnte ich den Fisch auch sehr gut erkennen. Als er zu einer Flucht in die Hecken links von mir ansetze musste ich den Druck erhöhen um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Ich war jedoch chancenlos und der Fisch setze sich dort fest. Zeitgleich schnalzte mir schon die 0,43er Hauptschnur um die Ohren. Offensichtlich muss sie einen ordentlichen Schaden vom Drill davongetragen haben. Und weg war der Spiegler! Boa, war ich sauer! Der war riiichtig gut.

Ich überlegte, ob ich gleich einpacken, oder die Rute neu montieren und nochmal auslegen sollte. Da noch nicht mal 8 Uhr war und die Beiszeit an diesem See bis weit in den Mittag hineinreicht, entschied ich mich für die zweite Option und knüpfte ein neues Rig. Bevor ich dieses jedoch wieder vor die Füße pendelte, suchte ich mit meinem kleinen Boot nach anderen Spots am Uferbreich an denen es  gerade weniger wild zugegangen war. Und dabei stieß ich erneut auf ihn! Knapp 2 Meter vor mir in den Hecken stand er noch – der Riesenspiegler der mir kurz zuvor durch die Lappen gegangen war. In seinem Mundwinkel war noch deutlich der pinkte Pop Up zu erkennen. Der Fisch bewegte sein Maul heftig vor und zurück und versuchte so den 4er Kurv Shank loszuwerden. Den 24er VNX+ Boilie, der gemeinsam mit dem pinken Pop Up ein Schneemann gebildete hatte, konnte er zwischenzeitlich schon abschütteln. Sachte ruderte ich zum Platz zurück und schnappte mir meinen Kescher. Ob ich nochmal eine Chance habe? Doch zwischen all den Hecken war keschern unmöglich, es half nur noch die harte Tour: Ich musste zu ihm! Als ich nur noch Shorts an hatte fröstelte mich bereits das Oberflächenwasser, doch ein beherzter Sprung setzte Adrenalin frei und brachte mich in Richtung Grund. Doch ohne Brille war ich chancenlos. Überall standen spitze Äste hervor und unter all dem Gewusel war – zumindest hoffte ich das – der Fisch. Erkennen konnte ich wenig. Zu wenig. Frustriert zog ich mich wieder hoch ins Boot und fuhr zurück zum Platz, trocknete mich ab und schnappte mir erneut die Polbrille. Er war noch da! Mittlerweile hatte er auch das Vorfach vom Wirbel abgesprengt, stand jedoch noch seelenruhig, fast apathisch da. Telefonisch verständigte ich  einen Kumpel, der 10 Minuten später mit der Tauchbrille zur Stelle war. Sofort klemmte ich mir den Kescherkopf unter den Arm, zog die Brille auf und verabschiedete mich erneut ins kalte Nass. Sofort sah ich ihn. Es musste schnell gehen. Den Kescherkopf setzte ich am Grund auf und schob ihn Richtung Fisch. Dieser bewegte sich dann leicht nach vorne, woraufhin ich sofort das Netz anhob. Er war drin! Mit einem kräftigen Stoß vom Grund weg drückte ich uns Richtung Oberfläche. Ein tiefer Zug Luft füllte meine Lungen. Jetzt legte der Fisch aber so richtig los und schlug um sich. Geholfen hat es ihm das trotzdem nicht. Denn kurz darauf hievte ich ihn auf die Matte, zückte das Smartphone und drückte ab: Ein Bild und eine Story, die ich nicht so schnell vergessen sollte!

Simon Gehrlein

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